Die HappyTimes-Kolumne des Schriftstellers Claude Lachat
Die 70er! Die 80er! Erinnern Sie sich? Das waren noch Zeiten! Wild, frei und offen für vieles. Wobei wir jedoch zu dieser Zeit noch nicht wussten was VIELES ist. Mich prägten die 80er vor allem durch die Musik. Rock, Pop bis zum abwinken. Ein Konzert nach dem anderen. Volle Hallen, Mädels und Bier im Versteckten. Hach, war das herrlich! Queen, Status Quo, Billy Idol und Nazareth. Auf sämtlichen Schulheften wurden die Stars von gestern verewigt. Nazareth? WARST DU ECHT GLÄUBIG? Ungläubig höre ich mir die Frage meines Sohnes an. Er kann es nicht wissen. Hat es nicht erlebt.
Ich wette, wenn Sie könnten, würden Sie das Rad der Zeit zurückdrehen um die eine oder andere Sequenz aus Ihrem Leben noch einmal zu erleben. Jetzt kommt’s! Ich habe das Rad zurückgedreht! Zumindest eine halbe Umdrehung. Denn so einfach ist das nicht. Vor allem dann nicht, wenn es für diesen Kraftakt den Saft aus früheren Jahren benötigt. Aber der Reihe nach. Deep Purple! Rock vom Feinsten. Erinnerungen werden wach. Die ersten (engen) Jeans und lange Haare. Ja ist gut! Vergessen Sie mein Bild und verkneifen Sie sich das Lachen. Auch ich hatte welche! Deep Purple on Tour. Die Gelegenheit! Was liegt näher als dieses nostalgische Highlight mit meinen Freunden in Angriff zu nehmen. Wir reisen nach Mannheim! SAP Arena. Als Special Guest ist Peter Frampton angekündigt. Peter Frampton? Ist an mir vorbeigegangen. Egal. Wird schon ok sein. YouTube sei dank erkennen wir zwei, drei seiner Songs. DO YOU FEEL LIKE WE DO. 70er. Das wird Klasse!
Ich buche uns ein Hotel direkt am Bahnhof. Wir mögen nicht mehr so weit laufen. Günstig, ohne Schnickschnack. Wir machen die Nacht zum Tag! Wie früher! Geschlafen wird nur, weil irgendwann auch die Kneipen in Mannheim dicht machen. Vorfreude pur. Wir fahren mit der Bahn und wollen uns auf der Fahrt schon mal ein Bierchen gönnen. Zum einstimmen – oder so. Wie früher. Dass mein Freund für die Rückfahrt ein Ruheabteil gebucht hat, lässt mich vage daran erinnern, dass der Tag danach für ältere Herren – eben der Tag danach ist. Schwamm drüber. Via Internet suche ich uns drei Musikkneipen raus. Wir wollen feiern bis sich die Balken biegen. Früher, früher wären wir einfach drauf los gezogen. Heute recherchiere ich über Google Maps die kürzeste (Marsch-) Route. Wollen ja effizient und zeitsparend mit unseren körperlichen Ressourcen umgehen. Wir sind nicht mehr zwanzig. Das Hotel auch nicht. Ich entferne den klobigen Schlüsselanhänger und stecke mir den Schlüssel in die Hosentasche. Wie früher, als ich noch enge Jeans trug. War und ist bequemer so. Der Aufzug im Hotel ist auch von früher. Langsam, eng. Wir zwängen uns hinein. Drei Männer im Lift. Mein Freund muss nochmals ins Zimmer. Eine warme Jacke soll es sein. Alzheimer? Ich spotte. Wieder im Aufzug muss der Andere nochmals ins Zimmer. Doch Alzheimer. Ich kann mir einen Spruch nicht verkneifen. Die nette Dame am Empfang wünscht uns einen angenehmen Abend und verlangt den Schlüssel. Mit Anhänger! 24h Service im Hotel. Nicht wie früher. Ein Blick in die Gesichter meiner Freunde verrät alles. Sie grinsen. Ich bin es, der sich wieder in den Aufzug zwängt und den dämlichen Schlüsselanhänger holt. Ich kann die beiden Teile nicht mehr miteinander verbinden. HABEN SIE EINE ZANGE DABEI? Ein Blick in unsere Gesichter lässt uns gemeinsam – nichts erwidern.
SAP Arena. Heimat der Mannheimer Adler. Für alle die es nicht wissen: das ist Eishockey. An diesem Abend jedoch ein Katapult in die Vergangenheit. Einem meiner Freunde wird der Eintritt ins riesige Rund verwehrt. Die warme Jacke mit samt Ticket an der Garderobe abgegeben. Der freundliche Security irritiert ihn nach seiner Rückkehr mit der Frage, ob er die Kleiderabgabe gefunden hätte. Mein Freund streckt ihm das Ticket unter die Nase und schweigt. Ok, früher war auch das anders. Peter Frampton zieht uns mit in die verrückten 70er. Wie auch immer die waren. Auch zu dieser Zeit waren wir – eben jünger. Deep Purple rockt was das Zeug’s hält. Bassist Roger Glover hält mit seinen siebzig Jahren erstaunlich gut mit. Im Gegensatz zu mir. Ab und an wandert mein Blick sehnsüchtig nach oben. Zu den Sitzplätzen. Hätten wir uns früher nie angetan! Meinen Füssen ist das egal. Sie Schmerzen. Das Konzert gefällt. Durchschnittsalter 334 Jahre. Ein bisschen laut. Welcher jung gebliebene steckt sich denn schon Stöpsel in die Ohren. Die Ruhe nach dem Gig ausserhalb der Arena ist beunruhigend. Ist es tatsächlich so ruhig oder höre ich nichts mehr?
Ab geht’s auf unsere Kneipen-Tour. Stadtplan und Zettel mit Adressen hervorgezogen und bereits riechen wir das erfrischende Bier, denn nach Konzertschluss schlossen auch sämtliche Getränkestationen. Der Durst lässt uns flott marschieren. Die erste Kneipe mit dem vielversprechenden Namen THINGSTÄTTE befindet sich in dunkler Gegend. Eher düster. Ein Blick durch die schmutzigen Fensterchen lässt uns gemeinsam Nicken. Nein, vielleicht nicht gerade unsere Wahl. Nichts gegen 16-Jährige. Hiervon stand nichts im Internet. Meine zweite Kneipenwahl hört sich dann doch revolutionärer an. DIE KNEIPE AM ARSCH DER WELT. Wir laufen und laufen – in Richtung Arsch der Welt. Die Gegend wird noch einmal, na, sagen wir mal, ungemütlicher.
Baufällige Häuser, keine Menschenseele unterwegs, spartanische Beleuchtung.
Endlich! Ein blaues Neongeflacker lässt uns freuen – aufs hoffentlich baldige Bier für uns durstige Wandergesellen. An der glänzenden Türe der Kneipe AM ARSCH DER WELT dann die Ernüchterung. NUR FÜR MÄNNER. Sinnigerweise. Ein Blick in unsere Gesichter lässt uns gemeinsam Nicken. Nein, vielleicht nicht gerade unsere Wahl. Nichts gegen Männer. Hier am Arsch der Welt ist nichts! Taxi. MANN, IST NICHT GUT DA. GEFÄHRLICHE GEGEND, MANN. WO DU WILLST? Sweet Home Alabama. WAS IST DAS, MANN? Musikkneipe. Der freundliche Mann mit stark östlichem Akzent kennt Sweet Home Alabama nicht. Toll! EY MANN, WILLST IN POLNISCH BAR? GUT DORT. Sind Sie aus Polen? Man kennt das ja. Kassieren ab für Gäste die sie im Nirvana aufgegabelt haben. NEIN MANN! BIN ICH AUS KOSOVO. WIESO? UND DU, WOHER? Einfach so. Er schaut mich – nichts verstehend – an und fragt sich wahrscheinlich noch heute, wo EINFACH SO liegt. Fahren Sie uns zum Bahnhof. Wird wohl noch eine Kneipe zu finden sein. Bahnhof Mannheim. Ein Döner-Paradies! Leider keine Kneipen. Ich schwöre es. Keine! Ein Blick in unsere Gesichter lässt uns gemeinsam Nicken. Ja, vielleicht unsere einzige Wahl. Nichts gegen Döner. Drei Männer im Döner. Es gibt Bier. Wir sind zufrieden. Hätte schlimmer kommen können.
Später im Hotel ziehen wir uns wie früher einen Film rein. Zombies zerfleischen sich. Einer meiner Freunde liegt müde im Kissen. Der Andere malträtiert sein IPhone. Ich mag den Mist nicht sehen. Zum Frühstück hören wir uns die Klagen der Bedienung an. Stress plagt sie. Ein Blick in unsere Gesichter lässt uns gemeinsam Nicken. Ja, vielleicht sind wir es, welche Stress verursachen. Wir sind ihre Gäste. Müde und voller Erlebnisse besteigen wir die Bahn. Drei Männer im Ruheabteil. Ein Blick in unsere Gesichter lässt uns gemeinsam Nicken. Eine gute Wahl. Leider nur bis Karlsruhe. Die Oma mit ihren zwei kleinen Kindern hält nicht viel von Ruhe. Was soll’s. Früher, früher hätte uns das nicht gestört. Was das Ganze mit den drei Männern im Schnee zu tun hat? Kann mich nicht mehr daran erinnern.
Claude Lachats Krimi „Muttertag zum Ersten“
Claude Lachat ist Autor und Texter. Sein Krimi Muttertag zum Ersten (IL Verlag) ist ab sofort im Handel oder mit persönlicher Widmung unter www.claude-lachat.ch für CHF 19.20 oder €15.90 erhältlich (+ Versandkosten CHF 5.00 / € 7.00)
Quelle Bild: © claude-lachat.ch