Claude Lachat – „Die Plauderkasse“ – Kolumne des Schweizer Schriftstellers

Claude Lachat Schweizer Schriftsteller auf HappyTimes

Die HappyTimes-Kolumne des Schweizer Schriftstellers Claude Lachat. 

Die Plauderkasse.

Es gibt Dinge von denen man nicht weiss, dass man sie braucht, bis jemand sie erfindet und man dann merkt, man braucht sie wirklich nicht! Oder doch? So auch die Plauderkasse (nicht zu verwechseln mit dem Plauderbänkli). Ein neues Konzept im Supermarkt für Einsame. Eine Kasse für Menschen, die gerne reden. Auch für jene, die gerne viel reden. Also genau für die Leute, wegen denen man sonst extra nicht an die Kasse nebenan wechselt. «Hier dürfen Sie sich Zeit nehmen und plaudern», steht da. Na wunderbar!

Ich war neugierig. Schliesslich bin ich seit Jahren darauf trainiert, es an seelenlosen Selfscanning-Kassen möglichst emotionslos piepen zu lassen und dabei mit Pokerface die Karte durch den Schlitz zu ziehen. Jetzt soll ich plötzlich wieder reden. Mit einem Menschen! Freiwillig! Und das in aller Öffentlichkeit.

An der Expresskasse stehen 20 Menschen Schlange und scannen mit chirurgischer Präzision ihre Eier, Tomaten und Salami, bereits geschnitten. Also stelle ich mich an die Plauderkasse. Hier steht eine ältere Dame vor mir und erklärt die emotionale Bedeutung von Schnittkäse. Der Kassierer nickt verständnisvoll als wäre er Psychologe, Priester oder bester Freund in Personalunion. Ich schiele auf die Uhr. 8 Minuten für drei Artikel und der Schnittkäse bekommt noch ein Brötchen und Senf dazu.

Nach 15 Minuten bin ich dran. «Wie geht es ihnen heute?» Der Kassierer strahlt. Ich bin völlig überfordert. Wann hat mich zuletzt jemand an der Kasse gefragt, wie es mir geht? Meistens fragt man mich nach Punkten oder Märkli. Neuerdings auch, ob ich das Zetteli will. «Gut», antworte ich. Er nickt tiefsinnig und schaut mir tief in die Augen. «Wirklich? Es sieht aus wie …»

Wir waren Freunde. Für exakt 1 Minute und 43 Sekunden. Best Friends! «Danke fürs Gespräch», verabschiedet er sich mit einem warmen Lächeln. Ich hätte beinahe noch eine Umarmung erwartet. Ich war gerührt. Ich hatte seit Wochen mit niemandem mehr so offen über meinen Tag gesprochen und das alles zwischen Dinkelbrot, Duschgel und Kaffee aus Costa Rica. Ich lege meine Milch, das Brot und den Käse am Stück in die «Gugge» mit Herzen drauf und verlasse diesen emotionale Ort mit Lebensberatung, Sozialstudie und Minitherapie. Als ich zurückblickte, sah ich die anderen Kunden, still an den normalen Kassen: gesenkter Blick. Kein Wort. Nur das nervöse Piepsen der Scanner.

Und ich? Ich hatte das Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben. Ich wurde gefragt, wie es mir geht! Wow! Die Idee ist ja eigentlich nett. In Zeiten wo alle aufs Handy starren und ihre Einkäufe per Knopfdruck tätigen, will man wieder echte Gespräche fördern. Auf Deutsch heisst das, ich erfahre alles über quengelnde Enkelkinder, schwerhörige Ehemänner, Falschparker und Meinungen zu Königshäusern und deren Skandale in fremden Ländern während meine Tiefkühlpizza auftaut.

Am Ende verliess ich den Laden ganz leicht traumatisiert, aber emotional sehr bereichert. Und das Schönste: ich weiss jetzt, dass Frau Meier aus Büsserach schon seit drei Jahren keine anständige Schwarzwälder Torte mehr gebacken hat. Das ist Wissen für die Ewigkeit.

Am nächsten Tag stehe ich wieder im Supermarkt. Diesmal kaufe ich nur ein Gipfeli. Die Expresskasse lasse ich mit einem verächtlichen Blick links liegen. ICH laufe direkt zur Plauderkasse. Wenn das kein guter Tag wird, weiss ich auch nicht mehr weiter. «Wie geht es Ihnen heute?» Ich beginne da, wo meine Katze Magenprobleme hatte und ich erst dem Schnittkäse die Schuld gab bis ich herausgefunden habe, dass ich gar keine Katze besitze. Aber eine Etage unter mir, das glauben sie nicht, wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen haben…

Website von Claude Lachat: www.claude-lachat.ch

Bücher von Claude Lachat

Claude Lachats neuer Krimi „Tödliches Rezept – Muttertag zum Zweiten“

Claude Lachat ist Autor und Texter. Sein neuster Krimi Tödliches Rezept – Muttertag zum Zweiten (IL Verlag) ist im Handel unter der ISBN-Nummer 978-3-906240-27-5 erhältlich. Mit persönlicher Widmung des Autors auch per Email unter buch@claude-lachat.ch.

Auch als E-Book erhältlich unter:
info@il-verlag.com
IL Verlag Basel

Krimi von Claude Lachat „Tödliches Rezept – Muttertag zum Ersten“

Claude Lachat - Muttertag zum Ersten

Claude Lachats Krimi Muttertag zum Ersten (IL Verlag) ist im Handel oder mit persönlicher Widmung unter www.claude-lachat.ch  erhältlich.

Auch als E-Book erhältlich unter:
info@il-verlag.com
IL Verlag Basel

Bilder: © Claude Lachat

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Coopkind

Schön geschrieben. Eine Weihnachtsgeschichte. Der Artikel von Claude Lachat ist ein amüsanter und tiefgründiger Kommentar zur Einsamkeit in unserer modernen Gesellschaft. Was mir besonders gefällt, ist, dass Lachat sich durch die Plauderkasse auf der einen Seite emotional bereichert fühlt, auf der anderen Seite hinterfragt, ob solche oberflächlichen Interaktionen wirklich den tieferen Bedürfnissen nach echter Nähe und Verbindung gerecht werden.