Claude Lachat – Kolumne des Baselbieter Schriftstellers: „Viva La Revolution!“


Die HappyTimes-Kolumne des Baselbieter Schriftstellers Claude Lachat.

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Viva La Revolution!

„Hilde, wir sind im falschen Flieger!“ Der alte Herr lässt mich grinsen. Genauso wie der Jüngere, der in der Reihe 37 die Sitzreihe 8 sucht. Völlig verpeilt, stelle ich fest. Genau zwei Flugzeuge parken am Miniflughafen auf Kuba. Da wird es sportlich, den richtigen Jet zu finden. Vor über 60 Jahren gab es noch keine Scanner. Die Bordkarten wurden „von Hand“ kontrolliert. Beim alten Herrn und seiner Hilde war das genauso. Dass er sein Anschlussticket zur Kontrolle reichte, war sein Pech, denn der Crew-Mitarbeiterin war es egal wo der Mann und seine Hilde hinflogen.

Schon unsere Anreise im Lincoln Capri Coupé Jahrgang 1959 – pink notabene – liess erahnen, welche Reise in die Vergangenheit uns bevorstand. Wir hätten auch den 55er Ford Thunderbird nehmen können. Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht, wird hier noch immer gross geschrieben und gelebt. Die vierseitige Speisekarte strotzt vor leckeren Gerichten, auf dem Papier. In Wirklichkeit gibt’s das Huhn mit schwarzen Bohnen und Reis. Selbst im Laden um die Ecke wird alles in Hülle und Fülle angeboten. Schokobiskuits derselben Marke. Wasser. Und Rum bis zum abwinken. Mehr geben die Regale nicht her. Der Sozialismus lebt. Kuba ist nicht New York. Kein Verkehr, keine Staus, kein Stress. Keine Amis, ausser den Pontiac Bonnevilles und Dodge Ram Pickups.

Selbst am Strand herrscht Stille. Kunststück, der alte Herr und seine Hilde waren früh auf und haben ihr Badetuch platziert. Mein Liegestuhl, meine Sicht aufs Meer nach dem Motto, egal, besetzt ist besetzt! Auch wenn sich den ganzen Tag kein Mensch auf den verwaisten Liegestühlen links und rechts blicken lässt. Selbst an der Bar lässt man sich viel Zeit. Zeit gibt es reichlich, 24 Stunden am Tag. Da nützt es nichts, wenn die korrekte Hilde ihrem Gatten mit Vehemenz einen Latte Macchiato bestellt und nicht verstehen kann, dass hier Kaffee getrunken wird.

Überhaupt kann die gestresste Hilde nicht verstehen, dass ihr CD-Player im Zimmer nicht funktioniert und die lachende Dame an der Rezeption geduldig und wohl zum vierten Mal meine Zimmerkarte mit der Schere zurecht schnippelt, damit ich nicht nur von aussen durch den Spalt in der Türe mein Zimmer erblicken kann. Es sei wie in Deutschland, stellt die zackige Hilde kolonialistisch angehaucht fest. Wer arbeitet und fleissig ist, dem geht es gut. Mir dreht es den Strohhut auf meiner Platte. Ich greife nach meinem Mojito und lasse auch im Namen von Hilde ein üppiges Trinkgeld liegen. Diese schaut bereits gehetzt auf ihre Uhr. In einer halben Stunde spielt eine kubanische Band auf. Es wird Zeit, die besten Plätze vor der Bühne zu besetzten. Ich zünde mir genüsslich eine Belicosos Finos an und überlege mir, ob ich mich im offenen Chevrolet Bel Air oder im Cadillac Coupé de Ville ans Konzert chauffieren lasse. Ich habe Zeit. Übrigens, das Konzert in sengender Hitze verzögerte sich um eine Stunde. Arme Hilde.

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