Claude Lachat – Kolumne des Baselbieter Schriftstellers: „Smalltalk“


Die HappyTimes-Kolumne des Baselbieter Schriftstellers Claude Lachat.

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Smalltalk

Griezi „HerrweissderTeufel“ wie auch immer Sie wieder heissen, denke ich und verfluche mein nicht vorhandenes Namensgedächtnis wie auch meinen latenten Fluchtreflex. Natürlich mit einem freundlichen, aber gefrorenen Lächeln im Gesicht und tausenden kleinen Fragezeichen die mein bekannter Unbekannter wahrnimmt, mich anlächelt und mir sein Patschhändchen reicht.

MeierMüllerHuber oder wie auch immer er sich nennt, stellt sich mit Namen vor und lässt es als allemal normal gelten, Namen zu vergessen. Ganz alleine im Eingangsbereich eines Museums für Architektur mit einem Entfremdeten den man dennoch kennt herumzuhängen kann sportlich werden. MeierMüllerHuber berührt den maroden Stuck an der verblichenen Wand an und erklärt mir ungefragt in einer Selbstverständlichkeit, weshalb hier Stuck verarbeitet wurde, was mich nicht wirklich interessiert. Wussten Sie, dass diese Deckenstäbe durch Zugtechnik und diese Rosetten durch Gusstechnik hergestellt wurden? Rosetten? Das geht mir am Arsch vorbei.

Stuckateure müssen unheimlich präzise arbeiten, damit Besuchern wie uns die kleinen Unebenheiten und Fehler nicht auffallen, lacht MeierMüllerHuber dezent und deutet auf eine frisch abgeschlagene Ecke in der Ecke. Wir grinsen uns verschwörerisch an und lassen unsere Blicke wie auf Kommando durch den hellen Raum gleiten in der leisen Hoffnung, einen Kratzer oder eine weitere Delle im Stuck zu entdecken. MeierMüllerHuber hat es geschafft, mir statt einem peinlichen Grinsen ein Lächeln, wenn auch gefroren, ins Gesicht zu zaubern. Mit einem Wildfremden, nun gut, ich traf MeierMüllerHuber bereits gestern, Dellen im Stuck zu suchen hat schon was Besonderes. Man muss nicht schlagfertig wie Rüdiger Hoffmann oder Peach soundso sein, um einer vermeintlich peinlichen Situation aus dem Weg zu gehen solange es MeierMüllerHubers gibt, die aus genau so einer Konstellation die Kunst beherrschen, belanglosen Smalltalk über Stuck zu betreiben. Manche Begegnungen vergisst man nicht mehr, eher den Namen. So wie diese mit MeierMüllerHuber, welcher mir die Peinlichkeit abnahm seinen Namen vergessen zu haben und welcher mir die Peinlichkeit abnahm, nicht wie ein vergessener Koffer am Bahnhof des Schweigens herumzustehen. Er verstand die Kunst des Smalltalks auf eine natürliche Art und Weise obwohl wir mit unserem Thema nur an der stuckverzierten Oberfläche kratzten. Nicht über das nasskalte Wetter oder anderes Belangloses wurde geplappert. Auch nicht über die drohende Gletscherschmelze oder die letzte doch sehr in die Tiefe gehende Darmspiegelung unserer gemeinsamen bekannten, deren Namen ich vergessen habe.

Wahrscheinlich vergesse ich MeierMüllerHuber wieder weil wir Menschen uns beim Smalltalk so oder so nur unseres Kurzzeitgedächtnisses bedienen. Studien behaupten, dass Introvertierte sich tendenziell eher am Langzeitgedächtnis bedienen. So auf die Schnelle fällt es einem da natürlich schwer, witzig zu reagieren oder gescheit zu kontern und das alles ohne Vorbereitung. Übrigens, den alten Ägyptern war die Herstellung von Gips bereits bekannt und im Palast von Knossos wurde Gips bis zum abwinken verbaut. Am bekanntesten sind wohl die verspielten Dekorationselemente aus der Barock- und Rokokozeit. Da gab es übrigens Rosetten in Hülle und Fülle. Sie sehen, lässt mich mein Langzeitgedächtnis nicht im Stich, spiele ich das nächste Mal MeierMüllerHuber und glänze mit Gipswissen, sofern ich einen Namenlosen antreffe, der Mutterseelenalleine wie ein vergessener Koffer in der stuckverzierten Ecke steht. Smalltalk ich komme. Vielen Dank auch für die Inspirationen „HerrweissderTeufel“ wie auch immer ihr Name war.

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