Ein internationales Team von Forschenden aus Dänemark, Deutschland, der Schweiz und Frankreich hat eine neue Methode entwickelt, mit der man detaillierte Röntgenbilder von Hirngewebe erstellen kann. Die Methode wurde verwendet, um die Myelinscheide von Nervenfasern sichtbar zu machen. Schäden an dieser Nervenschutzhülle führen zu verschiedenen Erkrankungen wie etwa Multiple Sklerose. Die Anlage, an der diese Aufnahmen erstellt werden können, wird an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des Schweizer Paul Scherrer Instituts betrieben. In der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift NeuroImage berichten die Forscher über ihre Arbeit.
Die sogenannte Myelinscheide umgibt als dünne Schicht die Axone der Nervenzellen – lange, dünne Fasern, die elektrische Impulse zwischen Nervenzellen oder von Nervenzellen zu anderen Zellen weiterleiten. Diese Myelin-Schichten sorgen für eine schnelle Weiterleitung der Nervensignale. Änderungen oder Ausfälle dieser Funktion werden mit degenerativen Gehirnkrankheiten, wie der Multiplen Sklerose in Verbindung gebracht.
„Die detaillierte Entwicklung dieser Krankheiten ist bisher nicht verstanden“, sagt Professor Franz Pfeiffer von der TU München, „wird aber zunehmend mit Veränderungen in den Myelinschichten in Verbindung gebracht, die für Unterbrechungen in der Signalübertragung zwischen Nervenzellen verantwortlich sind. Vereinfacht gesagt ist das so, wie wenn bei elektrischen Leitungen die Isolierung beschädigt wird und es so zu Kurzschlüssen und Leckströmen kommt.“
Bilder in 3 D
„Wir haben zwei bekannte Untersuchungsmethoden – Raster-Kleinwinkelstreuung und Computertomographie (CT) – mit einem speziellen Datenverarbeitungsprogramm kombiniert. Damit konnten wir in einem Rattenhirn Variationen in den Myelinscheiden sichtbar machen – ohne zuvor kleine Hirnstücke präparieren zu müssen“, erklärt Torben Jensen vom Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen.
Die Experimente wurden am Paul Scherrer Institut in der Schweiz durchgeführt. Hier liefert die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS die hochintensiven Röntgenstrahlen, wie sie für die Raster-Kleinwinkelstreuung benötigt werden. „Bei diesem Verfahren, richten wir einen dünnen Röntgenstrahl auf die untersuchte Probe. Daraus, wie die Strahlen dabei abgelenkt werden, können wir auf den Aufbau der untersuchten Probe an der Stelle schliessen, an der der Strahl aufgetroffen ist. In dem wir diesen Vorgang für mehrere tausend Punkte wiederholen, erhalten wir ein detailliertes Bild des Probeninneren. Der Röntgendetektor PILATUS, mit dem die abgelenkten Strahlen nachgewiesen werden, erlaubt uns, das an der SLS erzeugte Röntgenlicht bestmöglich auszunutzen wodurch hervorragende Bedingungen für solche Experimente bestehen“, erklärt PSI-Forscher Oliver Bunk. Der Detektor nutzt eine Technologie, die am PSI ursprünglich für eines der neuen CERN-Experimente entwickelt worden ist und nun für zahlreiche Anwendungen weiterentwickelt wird.
Die CT ist seit langem etabliert und wird in klinischen Anwendungen weltweit eingesetzt. Bei einer Untersuchung wird der Körper aus verschiedenen Richtungen von Röntgenstrahlen durchleuchtet und ein Bilddetektor nimmt jedes Mal die Schattenwürfe des menschlichen Körpers auf. Aus diesen Bildern wird dann durch Bilddatenverarbeitung ein dreidimensionales Abbild des Körperinneren errechnet. Entsprechend gingen die Forscher bei der Raster-Kleinwinkelstreuung vor. Die detaillierten Abbildungen, die mit dieser Technik entstehen, enthalten noch keine Tiefeninformation. In dem kombinierten Verfahren wird die Probe aus verschiedenen Richtungen belichtet, so dass detaillierte 3-D-Bilder erzeugt werden können. Um diese extrem genauen Bilder zu erhalten, müssen insgesamt 800’000 einzelne 2-D-Bilder verarbeitet werden, was die Entwicklung eines speziellen Software nötig gemacht hat.
250’000 Punkte auf einen Schlag
Als Anwendungsbeispiel hat das Team mit der Methode das Gehirn einer Laborratte untersucht – und verblüffende Einsichten gewonnen. „Wir können Details der Myelinscheiden der Nervenfasern mit Schichten von nur 17,6 Nanometern Dicke unterscheiden“, erklärt Professor Robert Feidenhans’l vom Niels-Bohr-Institut. „Bis jetzt musste man immer kleine Stücke aus einem Hirn als Probe herausschneiden und analysieren, um ähnliche Information zu erhalten. Mit der neuen Methode können wir 250’000 Punkte auf einen Schlag analysieren ohne vorher kleine Hirnstücke zu präparieren. Dies wird Reihenuntersuchungen bezüglich Dicke und Konzentration des Myelins im Zusammenhang mit verschiedenen Krankheitsbildern ermöglichen“.
Diese Forschung eröffnet neue Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit mit Ärzten – es bestehen bereits Kontakte mit der Universitätsklinik Kopenhagen und dem Kopenhagener Panum-Institut. Die neue Methode kann zwar nicht bei lebenden Patienten eingesetzt werden, aber sie kann entscheidendes Wissen über die Krankheiten liefern und helfen Fragen zu beantworten wie etwa: „Welcher Schaden entsteht bei einer bestimmten Krankheit?“ und „Wo entsteht er?“ Man wird nun im Stande sein, die Entwicklung der Krankheiten zu verfolgen und zu bestimmen wie das Gehirn geschädigt wird. Mit diesem Wissen könnten dann neue Therapien für verschiedene Erkrankungen entwickelt werden.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Festkörperforschung und Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung. Mit 1400 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 300 Mio. Franken ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.