Die OLMA in St. Gallen ist eröffnet – Rede von Bundespräsidentin Doris Leuthard

St. Gallen, 07.10.2010 – Bundespräsidentin Doris Leuthard eröffnete heute die Olma 2010 in St. Gallen: „Liebe Bäuerinnen und Bauern, liebe Gäste. Es ist mir eine grosse Ehre, Ihnen für die OLMA 2010 die Grüsse der Landesregierung zu überbringen. Mir ist bewusst, dass nicht alles bei Ihnen zu Begeisterungsstürmen führt, was aus Bern kommt. Eine Landesregierung kann leider nicht nur Schönwetterpolitik machen. Jedenfalls freue ich mich auf die OLMA und die obligate Bratwurst. Denn die OLMA ist wichtig:

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  • als Wir-Gefühl für die Bäuerinnen und Bauern,
  • als Leistungsschau unserer Landwirtschaft,
  • als Bindeglied zwischen Stadt und Land, zwischen Konsumenten und Produzenten.

Meine Damen und Herren, ich komme heute mit einem lachenden und einem weinenden Auge : Vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich. Lachend, weil ich Freude habe an den hervorragenden Leistungen unserer Bauern. Die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahr, die Innovationen dürfen sich sehen lassen. Die Resultate Ihrer Arbeit sehen wir auf dem Markt oder auf dem Teller. Wehmut kommt dann auf, wenn ich das Agrardossier und die anderen Dossiers Ende Oktober meinem Nachfolger Bundesrat Schneider-Ammann übergebe. Denn wir haben doch eigentlich gut zusammengearbeitet; auch wenn hin und wieder die Fetzen – oder andere Gegenstände – geflogen sind. Als Mitglied der Landesregierung werde ich mich weiterhin für eine produzierende und umweltgerechte Landwirtschaft in der Schweiz einsetzen.

Denn die Landwirtschaft wird die Politik weiter intensiv beschäftigen. Denn es gibt immer wieder tatsächliche oder vermeintliche Widersprüche in der gesamten Land- und Ernährungswirtschaft – in der Schweiz und weltweit. Beispielsweise:

  • Weltweit leiden über eine Milliarde Menschen an Hunger und Unterernährung. Gleichzeitig kämpfen wir in den Industrienationen gegen die Fettleibigkeit und Überschüsse – bei uns heute etwa in der Milchwirtschaft.
  • Gerne kaufen wir Gemüse, Obst, Brot, Fleisch, Milch direkt beim Bauern oder zumindest in der Region ein. Gleichzeitig werden immer mehr Lebensmittel weltweit verschoben, man kauft ennet der Grenze ein, die Importe steigen – nicht zuletzt auch bei den Futtermitteln.
  • Wir ermuntern die Bauern zum freien Unternehmertum. Gleichzeitig machen wir immer mehr Vorschriften – die Bauern selber wollen heute sogar mehr Regulierung auf dem Milchmarkt.

Heute, nach mehr als vier Jahren Tätigkeit als Wirtschaftsministerin, möchte ich einen Blick zurückwerfen. Anfänglich lagen die Schwerpunkte bei der Umsetzung des Wachstumspakets, der Beratung und Umsetzung der AP 2011 und der BFI-Botschaft 2008. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise waren wir gefordert, innert kürzester Zeit gezielte Massnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft und zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit zu zimmern. Sehr erfolgreich, wenn ich das europäische Wirtschaftsumfeld betrachte. Dort sind die Arbeitslosenquoten wesentlich höher und alle Staaten müssen grosse Schuldenberge abbauen. Dadurch hat die Schweiz heute im internationalen Vergleich einen Vorteil. Mit der letzten Volksabstimmung wurde die Basis für die Entschuldung der Arbeitslosenversicherung gelegt. Wir sind Europameister in Sachen Innovation. Wir sind immer noch das wettbewerbsfähigste Land der Welt. Mit einem engen Netz von Wirtschaftsabkommen haben wir unseren Unternehmen den Zugang zu anderen Märkten erleichtert. Wir konnten daneben zahlreiche Fussabdrücke setzen: etwa mit dem Freihandelsabkommen mit Japan oder dem Beginn von Verhandlungen mit China und Indonesien, mit den neuen Exportplattformen Cleantech, Medtech und Ingenious Switzerland oder der Umsetzung der NRP mit der Tourismusstrategie. Im Tierbereich haben wir die Blauzungenkrankheit bekämpft und eine neue Tiergesundheitsstrategie entwickelt. Insgesamt eine grosse Leistung, die unser Land optimal positioniert für den Aufschwung, was gerade jetzt mit der Herausforderung des schwachen Euro wichtig ist.

Auch die Schweizer Bauern und unsere Landwirtschaftspolitik stehen gut da – trotz grossen Umwälzungen. Ich weiss: Sie haben sich nicht fatalistisch zurückgelehnt. Die Bauern haben erkannt, dass die Subvention eine gefährlich süsse Versuchung sein kann. Sie haben getreu dem Grundsatz „jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ selber gehandelt. Viele von Ihnen haben mit Initiative und Kreativität, mit unternehmerischem Mut und vielleicht auch mit einer gewissen Portion unschweizerischer Risikobereitschaft die Herausforderungen angepackt. Dabei haben wir in Bern die Landwirtschaft nie im Stich gelassen. In den Jahren 2008 bis 2011 haben wir fast 13,5 Milliarden für die Landwirtschaft reserviert, trotz geringerer Zahl von Betrieben. Bisher wurden in der Landwirtschaftspolitik im Vierjahres-Rhythmus Reformen umgesetzt. Jetzt, mit den Zahlungsrahmen 2012 und 2013, brechen wir diesen Rhythmus. Wir sichern den Bauern damit das Geld zu und plagen sie in dieser Zeit nicht gleichzeitig mit neuen Reformen. Allerdings wird auch die Landwirtschaft durch das Konsolidierungsprogramm der Bundesfinanzen gefordert sein. Und später werden, dies ist unumgänglich, weitere Reformen hinzukommen.

Mehr als der Blick zurück interessiert der Blick in die Zukunft – verschütteter Milch jammert man ja auch nicht hinterher, ausser man jammert beim Verschütten – aber dann aus anderen Gründen. Der Milchmarkt macht mir Sorgen und ich bedaure, dass sich jetzt auch mein Nachfolger damit noch beschäftigen muss.

Gerne hätte ich ihm dazu gesagt: Die Milchbauern und die Verarbeiter haben sich gefunden. Der Markt spielt. Er ist im Gleichgewicht. Leider ist dem nicht so. Die Betroffenen hätten zwar genügend Zeit gehabt, um sich auf ein neues Regime vorzubereiten. Das Parlament hat den Ausstieg aus der Milchkontingentierung nämlich schon 2003 beschlossen. Verschiedene Organisationen haben von der Gelegenheit eines vorzeitigen Ausstiegs Gebrauch gemacht. Obwohl die Branchenorganisation Milch (BOM) grosse Anstrengungen unternimmt, obwohl der Bundesrat die Allgemeinverbindlichkeit der Branchenlösung erklärt hat, obwohl das Parlament den Zusatzkrediten zugestimmt hat, sind die Schwierigkeiten noch nicht bewältigt. Einerseits wegen dem internationalen Preiszerfall und anderseits, weil die verschiedenen Interessen nur schwer unter einen Hut zu bringen sind.

Der Nationalrat hat am letzten Sessionstag einem Vorstoss zum Milchmarkt zugestimmt, die eine Wiedereinführung der Milchkontingentierung fordert. Diesmal nicht allein durch den Staat, sondern durch die Schweizer Milchproduzenten (SMP), jedoch mit staatlicher Unterstützung.

Zurück in die Vergangenheit kann aber kein Rezept sein. Eine Monopolstellung einer einzigen Organisation bringt keine Lösung. Produzenten und Verarbeiter sind aufeinander angewiesen und müssen zusammenarbeiten. Die Lösung bringt die Nähe zum Markt, zu Verarbeitern und zu den Konsumentinnen. Ich hoffe auf den Ständerat! Ich hoffe immer noch auf die Branche!

Meine Damen und Herren, die Politik wird der Landwirtschaft auch in Zukunft Sorge tragen. Eine Herausforderung sind die schwebenden WTO-Verhandlungen. Ja, sie dauern schon lange und ein Abschluss ist weiterhin in der Schwebe. Kommt er aber, so wird der Preisdruck innert Monaten zunehmen. Der Bundesrat ist daher nach wie vor der Ansicht, dass parallele Verhandlungen mit dem wichtigsten Partner eine bessere Variante für die Landwirtschaft darstellt als ein plötzliche Öffnung allein auf der Basis von WTO-Beschlüssen. Daher handelt der kluge Bauer richtig, wenn er schon heute die Zukunft vorbereitet und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert.

Eine weitere Herausforderung wird es sein, mit möglichst optimaler Nutzung der Ressourcen und möglichst geringen Emissionen möglichst viele Nahrungsmittel zu produzieren. Ein rechter Spagat. Ich denke an die kommenden grossen internationalen Herausforderungen im Bereich der Ernährung. Aufgrund der ansteigenden Zahl der Menschen dürften sich die Preise tendenziell erhöhen. Gut für unser Land, schlecht für andere. Wir müssen daher die biologische Vielfalt erhalten. Um dies zu erreichen, hat der Bundesrat folgende vier Schwerpunkte für die Agrarpolitik 2014-2017 festgelegt:

Sichere und wettbewerbsfähige Nahrungsmittelproduktion und -versorgung gewährleisten.Ressourcen effizient nutzen und nachhaltigen Konsum fördern.Vitalität und Attraktivität des ländlichen Raums stärken.Innovation und Unternehmertum in der Land- und Ernäh-rungswirtschaft unterstützen.

Mit der Reform des Direktzahlungssystems können wir diese Ziele noch besser anvisieren.

Eine weitere Problematik ist der Verlust von Kulturland. Dieses The-ma wird mich auch in meiner neuen Funktion als Raumplanungsministerin beschäftigen. Zwar geht uns die Landschaftsinitiative zu weit. Aber mit einer Revision des Raumplanungsgesetzes in zwei Etappen wollen wir für einen haushälterischen Umgang mit dem Boden sorgen. Der Zersiedelung müssen wir einen Riegel schieben. In den letzten zwölf Jahren hat sich die Siedlungsfläche um 264 Quadratkilometer ausgedehnt, fast so viel wie der Kanton Nidwalden. Die Landwirtschaftsfläche hat in den letzten 24 Jahren um 420 Quadratkilometer abgenommen. Das sind 17,5 Quadratkilometer pro Jahr.

Liebe Gäste, die OLMA ist Tradition. Tradition sind auch die Gastkantone. Basel-Stadt, Baselland und der Kanton Jura bringen eine grosse Bereicherung aus der Nordwestschweiz in die Ostschweiz. Erfreuen Sie sich am Brauchtum, bringen Sie den Städtern – auch jenen am Rheinknie – die Landwirtschaft näher, aber nutzen Sie Tradition so, wie dies George Bernard Shaw einmal sagte: „Tradition ist eine Laterne, der Dumme hält sich an ihr fest, dem Klugen leuchtet sie den Weg.“

 

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