Die HappyTimes-Kolumne des Schriftstellers Claude Lachat
Keine Zeit!
Bereits vor meinem ersten Geburtstag, als ich noch ungeboren meinen Herzschlag spürte, hatte ich keine Zeit. Sorry, die Bude ist gekündet, nach neun Monaten ist Feierabend. Ob meine Mutter damals Zeit für mich hatte kann ich nicht beurteilen. Eines weiss ich jedoch, sie musste sich Zeit für mich nehmen. Obwohl mein Auszug und mein Eintritt ins Leben ausserhalb meiner geschützten „vier Wände“ zeitlich begrenzt war, liess ich mir Zeit. Zumindest für ein paar Tage. Eilig hatte ich es nicht, die Zeit tickte so oder so bereits unaufhaltsam. Also erst einmal gemütlich die Beine strecken und abwarten. Raus musste ich so oder so.
Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie sich das letzte Mal Zeit genommen haben? So richtig meine ich. Einfach die Beine hoch und alles Andere warten lassen. Abwarten was auf einem zukommt. Wer sich das leisten kann, der kann mit seiner Zeit umgehen. Oder mit der Zeit von Anderen. Jenen die warten müssen, wollen oder sollen. Spannend an diesem zeitlichen Egotrip ist, dass sie nach einer gewissen Zeit gar nicht mehr wissen, wo Sie Ihre Zeit verloren haben. Sie ist einfach weg. Nachhaltig bleibt vielleicht nur noch die Erkenntnis Ihrer wartenden Mitmenschen, dass sie es mit der Zeit nicht immer so genau nehmen. Als die Schweizerische Nationalbank den Kampf um Franken und Euro lancierte, vertrödelten viele Devisenjäger ihre Zeit damit, endlos am Bankomaten zu stehen um sich einen kleinen monetären Gewinn zu sichern. Zeit, die mit unsinnigem Warten flöten ging. Was hätte man alles mit dieser wertvollen Zeit anfangen können! Zum Beispiel die Beine hoch und nichts tun. Andere warten lassen oder sich ganz einfach einmal Zeit für sich nehmen.
Nichts tun und Zeit verstreichen lassen kann auch eine Form von Lebensqualität sein. Zudem ist Zeit kostbarer als alles Gold auf dieser Erde. Ihren kleinen Devisengewinn werden Sie immer wieder realisieren können. Die Zeit jedoch, die fürs Warten, Fahren und Anstehen vergeht, die werden sie nie mehr zurückerhalten. Es ist schlichtweg herausgeschmissenes Geld und Zeit. Leider kann ich Ihnen keine Zeit schenken. Im Gegenteil. In diesem Moment habe ich ein paar Minuten Ihrer Zeit gestohlen. Sie haben zwar Zeit investiert, aber nicht verloren. Denn wenn Sie nach diesen Zeilen auf die Uhr sehen, sollte Ihnen bewusst werden, dass noch ausreichend Zeit übrig bleibt. Fürs süsse Nichtstun, für einen Blick nach draussen, für ein Gespräch oder Zeit für Nähe zu den Menschen, die Sie lieben.
Meine Zeit ist nun um. Ich werde mir heute viel Zeit nehmen. Für was, das weiss ich noch nicht. Ich habe ja Zeit.