Die HappyTimes-Kolumne des Baselbieter Schriftstellers Claude Lachat.
Alt – na und?
Seit meinen fünfzigsten Geburtstag geht’s nur noch aufwärts. Mit dem Alter. Ich habe die kritischen Lebensphasen überlebt, und die Hälfte meines Lebens damit verbracht, meine eben erwähnten kritischen Lebensphasen zu umschiffen. Mein Gott! Die Hälfte! Früher, zu Gotthelfs Zeiten wurden die Menschen mit fünfzig als Methusalem verehrt. Man wunderte sich, wie man überhaupt fünfzig werden konnte.
Heute ist alles anders. Wir werden älter und älter. Ich wurde unlängst in einer Schule engagiert, um die kurz vor dem Abschluss stehenden Schülerinnen und Schüler auf das harte und lange Leben ausserhalb des Ponyhofes Schule vorzubereiten. Fünfzig Jahre erhalten hier eine ganz andere Bedeutung. Arbeiten – nicht werden! Bewerbungsmappen- und Bewerbungsgespräche waren das Thema. Stellt euch vor, ein dreissigjähriger Personalchef will von euch wissen, wie ihr mit Social-Media umgeht. Dreissig? Der ist ja uralt! Die Kids schütteln aufgewühlt den Kopf. Echt, da draussen laufen sooo alte Menschen rum? Wow! Ich habe die Fünfzig hinter mir und falle bei den Jungs und Mädels aus dem (Alters-) Rahmen. Oder bereits schon in die Kiste.
Gut, bis ich mich schmerzhaft aus dem Kinderstuhl unter dem vollgekritzelten Schülerpult erhoben habe dauerte es ein wenig. Mein Rücken ist mittlerweile gepolsterte Stühle gewohnt. Auch die Schulstunden dauerten länger als ich in Erinnerung hatte. Mit der Zigarette zwischendurch ist da nix! Ich werde mit Argusaugen beobachtet. Auf dem Klo aus den Siebzigern kam mir dann auch alles ein wenig zu niedrig vor. Keine Angst. Ich habe da nicht geraucht. Meine Knie knirschten wie ein altes Brett, als ich mich von der Minischüssel hochzwängte. Selbst das Händewaschen brachte ich wie ein Hundertjähriger hinter mich. Gebückt, weil der Hahn einen Tick zu weit unten angebracht ist. Naja, das Wasser tröpfelte immerhin, wenn auch kalt. Wie vor dreissig Jahren. Pech auch, dass ich just in dem Moment das Klassenzimmer betreten wollte, als die brüllende Meute mich regelrecht überrannte. Zukünftige Wirtschaftsteilnehmer! Tz! Dabei fühle ich mich wie der Fels in der Brandung. Ein paar Jahre mehr und die Brandung erwischt mich!
Die staunenden Augen und fragenden Blicke lassen mich erahnen, was in den kleinen Köpfen vor sich geht. Da draussen herrscht die Hölle. Lauter alte Säcke die noch mehr wollen als wir wissen! Ich bin ja froh, dass ich meine Abschlussworte stehend an den Mann, pardon, an das Kind bringen kann und vermeide es tunlichst, den sportlichen, agilen und biegsamen Supermann zu spielen. Ich würde durchschaut, so vermute ich, bevor ich einen Tag älter werde. Trotzdem freue ich mich auf die nächsten Jahre. Ich begrüsse bald eine neue Kollegin, die ist um einiges jünger als ich. Sie ist um die dreissig. Uralt für die Kleinen, ein Küken für die Grossen. Fragen Sie mich in fünfzehn Jahren, was meine fünfundvierzigjährige Kollegin von mir denkt. Alt – na und?